Anfang letzten Jahres habe ich in einer Wanderzeitschrift über 24h Wanderungen in den Alpen gelesen und mich im Internet auf die Suche nach Ähnlichem in Berlin gemacht. Beim Mammutmarsch bin ich fündig geworden… 100km in 24h klingt enorm, eine neue Herausforderung! Also Freunde motiviert, angemeldet, etwas trainiert, bis ich dann aus gesundheitlichen Problemen meine Teilnahme leider aufgeben musste. Drei meiner Freunde sind gestartet, zwei davon haben die 100km geschafft.
Dieses Jahr bin ich wieder gesund und mir war klar, dass ich den Mammutmarsch unbedingt angehen möchte. Die Freunde, die letztes Jahr dabei waren wollten da nicht noch einmal durch aber meine Schwester Claudia hat sich dafür entschieden mitzumachen.
Am 14.5. war es dann soweit! Trotz Aufregung konnte ich super schlafen und vor allem recht lange. Ich hatte noch Zeit ausgiebig zu frühstücken sowie Essen und Rucksack fertig vorzubereiten. Dann ging es gegen 12h bereits los nach Erkner. Am Bahnhof Friedrichstraße sehe ich einige Leute mit Rucksack und lasse es mir bestätigen, auch für sie geht es zum Mammutmarsch. In der Bahn treffe ich dann meine Schwester und kaufe noch schnell für sie und einen anderen Mammutmarschierer ein Anschlußticket auf meinem Handy für den „C“ Bereich. So ein Marsch kann schon vorher zusammenschweißen. Der Schaffner scheint beeindruckt von unserem Vorhaben, aber ich hab das Gefühl er nimmt uns das Ganze nicht so richtig ab. In Erkner angekommen folgen wir einfach den Massen bis zum Sportplatz. Wir sind früh dran und alles geht sehr schnell, gelbes Bändchen um, Karten in die Hand und ich frage wohin wir jetzt sollen? Aber da wir weder T-shirts bestellt haben noch Verpflegungstransport nutzen, war das bereits alles. Nun gut, dann legen wir uns also noch ein Weilchen in die Sonne und entspannen. Ich nutze die Zeit auch für mein Mittagessen, mitgebrachter Nudelsalat. Die Aufregung nimmt zu, die Toilettenschlange ebenfalls… aber wir sind rechtzeitig vorm Start beide zurück in der Startgruppe 1.
Der Countdown wird runter gezählt und Punkt 15h45 geht es los. Die 250 ersten Starter wandern erst mal langsam durch die schmalen Wege und es dauert etwas bis wir genug Platz haben unser eigenes Tempo zu finden. Aber es ist toll in einer Gruppe zu starten und sich ganz langsam warm zu laufen.
Der Weg um den Müggelsee ist herrlich und das Wetter zunächst ebenfalls. Wir haben vorher abgemacht, 5,5kmh zu laufen (das optimale Tempo für mich um zu viele Blasen zu vermeiden), aber Claudia fällt immer wieder in ein schnelleres Tempo und irgendwann belassen wir es dabei und laufen mit ca. 6kmh.
Wir sind bequem und laufen zwei Männern hinterher, der mit leuchtorangener Jacke ist vorneweg und weist uns den Weg. Auf einmal biegt er ab (eine kleine technische Pause) und so kommen wir mit dem anderen ins Gespräch. Daniel ist bisher nur 25km gewandert und hat heute das Ziel ca. 50km zu wandern. Als Wanderneuling ist er aber recht zügig unterwegs und durch das Quatschen vergeht die Zeit bis zum ersten Verpflegungsposten bei Kilometer 16 total schnell, gegen 18h30 kommen wir an. Im Strandbad Müggelsee ist noch nicht viel los aber es ist sehr windig. Wir essen jeweils eine Banane und füllen Wasser auf, ein schneller Toilettenstopp und weiter geht’s für Claudia und mich.
Auch wenn viele Leute vor uns sind, checken wir immer wieder den Weg – auf Handy und auf Karte. Ich habe die Karten auseinandergenommen und immer nur das Stück vom jeweiligen Abschnitt in der Hand. Das spart es uns, die lästige große „Kartenzeitschrift“ immer rauszuholen und wegzupacken.
Es läuft für uns weiterhin super, auch wenn die Strecke neben den Bahngleisen bis zum S Bahnhof Friedrichshagen sehr staubig und sandig ist. Einer der Ultraläufer mit seinem Fahrradsupport überholt uns. Hmm, wir dachten, dass es grade für Ultraläufer andere Wettkämpfe gibt und das mit dem Fahrradsupport kommt uns wie mogeln vor. Aber kann ja jeder selbst entscheiden. In Dahlwitz nach ca. 30km wird es langsam dunkel, wir sehen eine große Regenfront vor uns aber bleiben zunächst zum Glück verschont. Es geht weiter um die Rennbahn Hoppegarten und wir lachen, als wir an einem noch offenen Rewe vorbeikommen. Da hätten wir ja auch einfach einkaufen können, anstatt unser Essen zu schleppen.
Es ist dunkel, in den Dörfern geht es mit den Laternen noch ganz gut, aber als wir auf das Feld kommen bemerke ich, dass meine Stirnlampe nicht sehr hell leuchtet. Mist, ich hab mich gut vorbereitet aber dann doch vergessen, neue Batterien einzusetzen! Meiner Schwester geht es nicht so gut, sie meint, die Dunkelheit bekommt ihr nicht. Als wir durch das große Feld entlang der Stromtrassen laufen, torkelt sie etwas vor sich hin und ich mache mir Sorgen. Pause will sie aber nicht machen und so laufen wir weiter. Erst singen wir gemeinsam Lieder (leider fällt uns der Text nicht ein) und dann gebe ich ihr irgendwann meinen MP3 Player. Meine Stöcke hat sie bereits. Wir haben ewig niemanden mehr getroffen und auf einmal werden wir in der Dunkelheit von mehreren Leuten überholt. Ich drehe mich um und sehe die Lichter der anderen Mammutmarschierer in der Dunkelheit. Beeindruckend und motivierend. Die letzte Strecke bis zum Streckenposten bei Bruchmühle (Kilometer 44) zieht sich und Claudia wird zwar langsamer aber hält durch bis wir um 23h40 ankommen. Wir machen erst mal Pause, es ist total gemütlich hier mit den Feuerstellen und alles gut organisiert.
Das Essen wird mir fast aufgedrängt aber ich brauche nur eine Banane. Ich stelle fest, dass ich müder bin als gedacht, als ich Claudia anblaffe als sie den ganzen Tisch zum wackeln bringt und mein offenes Wasser umwirft. Die Füße werden kurz gelüftet und neu mit meinem 2Skin Gel eingerieben. Hunger hab ich nicht so richtig, aber dennoch essen wir etwas und füllen unser Wasser auf. Diesmal weniger, es sind ja nur 15km bis zur nächsten Station. Nach etwa einer halben Stunde geht es Claudia besser, war wohl der Wetterumschwung plus die Dunkelheit die den Kreislauf bei ihr etwas durcheinandergebracht haben.
Weiter geht’s, diesmal hab ich meine zusätzliche kleine Taschenlampe gefunden und leuchte Claudia zwischendurch immer wieder den Weg, weil sie sich immer noch mit der Dunkelheit schwer tut. Wir überlegen uns zu teilen, aber in der Dunkelheit möchte sie nicht so gerne alleine gehen, und ich sie eigentlich auch nicht alleine lassen. Die Stöcke höre ich immer hinter mir klackern, also ist Claudia noch dabei. Ich habe das Gefühl ich laufe auf Autopilot, ich schaffe es gar nicht langsamer zu laufen und mehr Rücksicht zu nehmen, immer mein Ziel vor Auge die 100km zu knacken.
Gegen 3h morgens sind wir bei Kilometer 59 in Rehfelde. Claudia möchte gerne eine längere Pause machen, aber mir ist es viel zu kalt hier zu sitzen auf längere Zeit. Ich versuche etwas zu essen, Hunger habe ich immer noch nicht. Nur Durst und der Wasservorrat wird weiter aufgefüllt. Da Claudia nicht alleine im Dunkeln weiterlaufen will, kommt sie mit. Ihre Blasen machen ihr zusätzlich jetzt schon zu schaffen (sie hatte schon vor dem Start zwei), während ich ganz verwundert darüber bin, es bisher relativ blasenfrei geschafft zu haben.
Weiter, immer weiter geht’s im Dunkeln und nach 60km auf einen sehr, sehr langen Feldweg (um die 5km gradeaus). Wir überholen eine kleine Gruppe und auf einmal kommt jemand angerannt und ruft „Entschuldigung“. Mein erster Gedanke ist, dass sie Hilfe brauchen und wir warten kurz. Aber er erklärt uns, dass der Mammutmarsch abgebrochen ist. Ich kann es nicht glauben, daher sagt er wir können auf Facebook checken und dass er uns nur informieren wollte, falls wir lieber zurück zur Versorgungstation gehen wollen (kürzer als weiter bis zur nächsten). [An dieser Stelle noch einmal ein großes DANKESCHÖN an den Unbekannten, der nach über 60km kurz gerannt ist, um uns die Nachricht zu überbringen!]. Claudi und ich können es nicht glauben. Ich schalte mein Datenempfang wieder ein und sehe einige Nachrichten und Diskussionen auf Facebook über den Abbruch wegen zu vieler Verletzter, aber keine offizielle Mitteilung. Wir laufen daher erst mal weiter. Die nächsten Kilometer sind recht einsam und es fängt an zu regnen. Schnell Regenjacke und –hose an und weiter geht es. Es wird langsam hell und mit der Helligkeit geht es Claudia auch wieder viel besser und sie läuft ohne Probleme weiter.
Im Wald vor Buckow überholen wir einen Mammutmarschierer, der zu schlimme Füße hat und einen Ausstieg sucht, aber leider ist hier außer Wald erst mal nichts und wir können ihm nicht helfen. Der Abbruch ist ihm entsprechend egal. Dann überholen wir noch eine Dreiergruppe, die überrascht sind und noch nichts vom Abbruch gehört haben. Nach 74km kommen wir dann gegen 6h10 in Buckow an und werden klatschend empfangen. Wir freuen uns sehr über den schönen Empfang. Dann kommt die offizielle Ankündigung, dass der Marsch abgebrochen wurde. Wir möchten trotz allem weitergehen, da wir so einen Marsch wohl nicht noch einmal machen und für uns die 100km schaffen wollen. Aber erstmal Pause. Wir können diesmal drinnen im Warmen sitzen, die Füße pflegen und etwas hochlegen, noch mehr Bananen essen und Wasser auffüllen. Es sind einige andere Marschierer da, manche sehen sehr angeschlagen aus und mit sehr schlimmen Blasen an den Füßen. Ich frage einen der Helfer, ob es ihnen oder den Organisatoren irgendwelche Probleme schaffen würde, wenn wir weiterlaufen, was verneint wird. Ich fühle mich dafür, dass ich nicht geschlafen habe und 74km in den Beinen (und Füßen!) habe ziemlich fit und möchte das nutzen. So langsam spüre ich dennoch Blasen, aber nichts im Vergleich zu Claudia, die ihre Schuhe lieber erst nicht ausziehen möchte. Ich habe vor allem unheimlich Durst, auf der ganzen Strecke trinke ich um die 8l Wasser aber mein Mund ist trocken und mein Gesicht glüht. Dafür muss ich auf den letzten 30km gefühlt alle halbe Stunde hinter einen Busch…
Allzu lange machen wir nicht Pause, damit der Köper nicht zu sehr herunterfährt und wir gar nicht mehr loskommen. Und so geht es um 6h50 weiter. Der erste Kilometer ist der schlimmste, bis man sich wieder eingelaufen hat. Nach einiger Zeit stelle ich dann auch noch fest, dass ich meinen MP3 Player irgendwo nach Buckow verloren habe! Grade für die schwierigen letzten Stunden wollte ich ihn dabei haben. Ich bin total sauer auf mich (die Müdigkeit!) und versuche auf Facebook eine Nachricht zu schreiben, dass jemand der nach uns kommt den iPod einsammeln könnte. Die Reaktionen sind aber alle nur darüber, dass wir weiterlaufen und schon so weit sind – nichts zu meinem iPod 🙂
Vor Hermersdorf treffen wir auf eine Dreiergruppe – Sohn mit Vater und Onkel – aus Kassel. Wir laufen ein Stückchen zusammen und sehen uns bis zum Ziel immer wieder. Claudia fühlt wie eine ihrer Blasen am Fuß platzt und wir machen eine kleine Pause, damit sie in Ruhe was essen kann (und ich mal wieder hinter einen Busch kann). Ich laufe eigentlich nur noch auf Autopilot, mein Knie schmerzt seit kurz vor Buckow und fühlt sich steif an. Aber aufgeben ist für uns keine Option und es war mir vorher klar, dass dieser Marsch nicht ohne Schmerzen ablaufen würde. Ich kenne aber meinen Körper gut und weiß durch meine Wandererfahrung, wie viel ich mir zumuten kann. Manche Schmerzen kann man ignorieren, andere sollte man ernst nehmen. Ich schreibe unseren Eltern, dass Claudia schlimme Blasen hat und dass der Marsch abgesagt wurde, wir also alleine im Ziel ankommen werden. Sie machen sich sofort mit dem Auto auf dem Weg, um uns abzuholen! Was für eine Erleichterung, dass uns jemand in Empfang nimmt und wir nur noch in ein Auto steigen müssen.
In Neuhardenberg haben wir dann die 90km geschafft – aber einen er härtesten Abschnitte noch vor uns. Um die 8km auf Asphalt neben der Bundesstraße. Die Hölle für die bereits geschunden Füße und durch die Monotonie gibt es kaum Ablenkung für den Kopf.
Wir zählen die Kilometer rückwärts, sind endlich in Platkow, endlich in Gusow-Platkow. Da kommt eine Frau auf uns zu und sagt „Ihr seid so toll!“ – wow, das tut gut und motiviert für die letzten zwei Kilometer. Danke! Die letzte Kurve und wir sehen unsere Eltern, die uns beglückwünschen. Es ist Punkt 12h und wir sind glücklich nach 20 Stunden und 15 Minuten diesen Marsch überstanden zu haben und machen freudestrahlend ein paar Fotos.

Noch ein paar Glückwünsche an die Handvoll anderer erfolgreichen Marschierer und schon geht es komfortabel im Auto zurück nach Hause. Vom Auto aus senden wir die Nachricht in die Welt, dass wir den Mammutmarsch geschafft haben. Ich bin vor allem stolz auf Claudia, weil sie trotz der kleinen Kreislaufprobleme nach 20km, der Schwierigkeit im Dunkeln zu laufen und ihrer sehr schlimmen Füße und Blasen durchgehalten hat. Ich bin bei mir vor allem überrascht, dass es so problemlos lief und ich mich die ersten 80kilometer noch sehr gut gefühlt hab, erst auf den letzten 20km wurde es dann schwerer. Es war eine Herausforderung, aber für mich war diese kleiner als gedacht. Das lag sicherlich vor allem daran, dass ich deutlich weniger Blasen hatte als erwartet und dadurch kaum Schmerzen hatte.
Meine Eltern lassen mich an meiner Wohnung raus, ich schaffe es irgendwie in den zweiten Stock, verteile meine (zum Teil noch feuchten) Klamotten in der ganzen Wohnung und gehe Duschen. Danach schlafe ich eine Stunde und schaue noch einen Film im Bett. Das Aufstehen um auf Toilette zu gehen, was zu trinken oder essen zu holen ist der Horror, die Muskeln schmerzen, der Körper erschöpft. Um 20h30 schlafe ich dann endlich richtig ein und wache 13 Stunden später wieder auf. Deutlich erholter, auch wenn ich erst ein paar sanfte Yogaübungen machen muss, bevor ich mich einigermaßen bewegen kann und zum gemütlichen Pfingstmontag zu meinen Eltern fahre. Dort gibt es noch als Ersatz die beste Urkunde überhaupt von unserer Nichte – DANKESCHÖN!
- Fuß – das wichtigste auf dem Marsch
- Sonne – für das gute Wetter
- Wal – für den Regen zwischendurch
- Sterne – für die Nachtwanderung
- Flugzeug – für die schönen Gedanken
- Herz – weil meine Nichte uns lieb hat
Der Mammutmarsch ist Geschichte und ich fühle mich gewappnet für meine geplanten Fernwanderungen ab diesem Sommer.
PS: Für diejenigen, die es interessiert, gibt es hier noch einen Artikel über meine Vorbereitung, Kleidung, Essen,…